29.November 2015
Am Gate
So, die erste Hürde ist geschafft: Ich sitze am Gate, habe meine Familie verabschiedet, die Sicherheitskontrollen passiert und warte nun auf den Eintritt ins Flugzeug. Neben mir sitzen drei Flugbegleiterinnen, denen ich sofort gesagt habe, dass ich „a little bit afraid“ bin, was natürlich maßlos untertrieben ist. Ich sterbe fast vor Angst – aber ich werde gleich beruhigt. Dieser erstaunte und anschließend mitfühlende Blick der Stewardessen scheint bei den „Emerates“ antrainiert zu werden.
Nun geht es endlich los. Die letzten Wochen waren ein Auf und Ab, mal voller Vorfreude, dann wieder voller Angst. Irgendwie neige ich ja doch zu extremen Gefühlsschwankungen.
“Das wird einfach nur cool”, “Hilfe, das packe ich nie!“, „Den Flug werde ich sogar genießen können, Angst war gestern!“ – am Abend dann Gedanken an Horrorvorstellungen wie Flugzeug-Attentate jeglicher Form (Phantasie kann eine Strafe sein!), anschließend dann der feste Vorsatz, das Ganze zu stornieren. Viele alte Ängste, die mit dem Heute nichts zu tun haben, kamen hoch, da will ich nun nicht so drauf eingehen – aber auch so viel Vorfreude – und auch das alles gehört bereits zu meiner großen, selbst-gewählten Herausforderung! In Gedanken war/ist es für mich so leicht, mir vorzustellen, was ich alles machen möchte, wozu ich mich fähig halte, z.B. ganz locker in Flieger zu sitzen :-). Schon als kleines Kind habe ich mich in meine Traumwelten gebeamt.
Und nun soll ein großer Traum Wirklichkeit werden – drei Monate für mich – in einer fremden (okay, nicht zu fremden) Welt mit vielen neuen Eindrücken, Natur pur, Zeit, keinerlei Zwänge: nur ich mit mir. Ich lasse mich überraschen! Und bin gespannt, wie ich mich mit mir verstehen werde.
Soviel ist klar: sollte ich nach vier Wochen diese Reise immer noch nicht genießen können, mich alleine fühlen und vor Heimweh fast umkommen, nehme ich mir die Freiheit, wieder zurück zu fliegen. Doch vier Wochen sind die Zeit, die ich mir als „Muss“ gesetzt habe.
Im Flugzeug
Der Flug ist natürlich wirklich, wie ich es einigen in meinem Heimatdorf Worpswede beschrieben habe, der erste große Berg, den ich bezwingen muss. Ich denke erfolgreich, denn ich sitze nicht auf dem Schoß des Kapitäns und habe meine Mitreisenden mit meiner Panik auch nicht angesteckt. Aber es ist nicht leicht – nur welcher steile hohe Berg lässt sich schon leicht erklimmen? Und diese Anstrengung hab ich gespürt, aber auch das Wachsen der Muskeln, in diesem Falle also das des Vertrauens. Hoffentlich schwindet es nicht so schnell wie die Muskeln beim Nicht-Trainieren…..
Aus vier Flügen setzt sich mein Reisebeginn zusammen, Hamburg – Dubai – Bangkok – Sydney – Christchurch. Dabei muss ich nur einmal die Maschine wirklich wechseln – die anderen Male heißt es nur aussteigen, noch einmal durch die Sicherheitskontrollen und wieder einsteigen, als wäre es eine neue Maschine. Natürlich müssen wir alle Sachen mitnehmen. Nun gut, es ist eine prima Übung gegen Flugangst: Starten, fliegen, ziemlich lange, landen…..einmal so tun, als würde man neu einchecken mit großem Sicherheitscheck, wieder starten…..
Turbulenzen sind in allen Variationen im Preis inbegriffen – und unsagbar freundliche Stewardessen, die mit mir reden und mir zwar nicht Bescheid sagen, wenn „etwas nicht in Ordnung ist“, aber mir versichern, solange sie nicht panisch seien, sei alles gut… Na gut, glaub ich das mal….. Und kann mich auch manchmal etwas entspannen.
Nun sitze ich gerade in meinem letzten Teilstück für lächerliche 2,5 Stunden. Endlich hat die Aufregung etwas mehr nachgelassen – (Nachtrag) was den Piloten dann offenbar dazu bewogen hat, eine Landung hinzulegen, mit der er wahrscheinlich seine Prüfung nicht bestanden hätte…aber kaum bin ich auf dem sicheren Boden, ist alles vergessen!
Christchurch, ich bin da! Es ist 15:00 Uhr und ich mache mich auf die Suche nach meinem gebuchten Hotel! Wie freue ich mich auf eine anständige Dusche!
30. November
Im Hotel, einen Tag später

Zunächst heißt aber an neuseeländisches Geld zu kommen. Ich begebe mich direkt am Flugplatz zum Automaten – und der möchte meine Kreditkarte nicht – vielleicht verstehe ich ihn auch einfach nicht. Fakt ist, ich bekomme kein Geld. Das wiederum benötige ich für den Bus, der mich doch zum Hotel bringen soll. Hm, das fängt ja gut an.
Am Serviceschalter hält die nette Dame sich gar nicht erst mit Erklärungen auf, sondern geht mit mir erneut zum Geldausgabegerät. Sie führt mich durch die verschiedenen Schritte, dreht sich natürlich bei Eingabe der Geheimnummer dezent um – und schon halte ich die ersten neuseeländischen Dollar in meinen Händen. Auf meinen Dank hin, wie nett es ist, dass sie einfach mitgekommen sei, erwidert sie nur, hier in Neuseeland sei alles einfach und unkompliziert. Noch ahne ich nicht im Geringsten, wie Recht sie hat!
Am Busbahnhof stehen mir zwei Busse zur Auswahl, die in Richtung meiner gebuchten Unterkunft fahren. Der erste Busfahrer, den ich frage, steigt sofort aus, geht mit mir zum hinteren und berät sich erst einmal mit seiner Kollegin, wer von beiden mich am besten mitnimmt. Ich erwerbe eine Karte und steige in den hinteren ein, mit dem Versprechen, dass die nette Frau mir Bescheid gibt, wann ich wieder aussteigen muss. Solche Nettigkeiten hab ich zum Glück auch schon öfter in Deutschland erlebt. Was mir aber neu ist und sofort auffällt: jeder, der in den Bus einsteigt, begrüßt die Fahrerin, fragt kurz, wie es ihr geht – Usus in Neuseeland – und verabschiedet und bedankt sich beim Aussteigen – zur Not lauthals, wenn die hintere Tür benutzt wird. So viel Nettigkeit, da bekommt man sofort gute Laune!
Ich verabschiede mich, bedanke mich ebenfalls und muss nun den letzten Rest des Weges zum Appartement finden. Völlig verwirrt interpretiere ich den Stadtplan falsch und laufe in die falsche Richtung – den großen, schweren Rucksack auf dem Rücken, vorne den kleinen, auch nicht ganz leichten. Ich bin müde und kaputt, eigentlich sollte das Hotel ganz dicht sein.
Ich kralle mir einen mir entgegenkommenden Asiaten, der die genannte Straße zwar nicht kennt – aber Google maps auf seinem Smartphone hat. Ich fotografiere mir das Bild ab und kehre um – und bin zum Glück bald da!
Doch es bleibt spannend, offenbar soll ich mich gleich an die neuseeländische Gelassenheit gewöhnen: Die Rezeption ist seit einer Stunde nicht mehr besetzt, dabei ist es erst 18:00 Uhr. Auf dem Schild steht eine Nummer, die man anrufen soll, um von einem automatischen Anrufbeantworter einen Code zur Öffnung der Tür zu bekommen. Also alles ganz einfach – wenn man nicht noch ein deutsches Handy hätte, das gar nicht daran denkt, diese fremde Nummer zu wählen. Ich versuche es zwei-, dreimal und gebe dann auf. Im Nebenhaus gucke ich, ob ich nicht jemanden finde, der Ahnung hat oder für mich anrufen kann. Im einsamen Treppenhaus höre ich plötzlich eine Stimme, aber es ist niemand da…- sind das Auswirkungen des Jetlags? Fange ich nun an, Stimmen zu hören? Ich bin verwirrt und es dauert ein paar Minuten, bis ich es merke: Es ist mein iPhone, das sich noch einmal eingewählt hat und plötzlich mit dem Automaten spricht. Apple ist einfach intelligent:-). Nach mehrmaligen Versuchen verstehe ich irgendwann den Code und kann ich ihn mir dann auch merken. Drinnen finde ich dann den Schlüssel für mich.
Nach einer ausgiebigen Dusche und einer kurzen Pause mache ich mich noch einmal auf den Weg und gehe ein paar Kleinigkeiten einkaufen, esse anschließend etwas in meinem Zimmer und gehe ziemlich früh schlafen.
Nächster Tag: Fahrrad, Auto und Linksverkehr
Was für ein Tag! So viele darf es solcher nicht geben, sonst hebe ich ab! Ich schätze aber, es liegt an dem ganzen Flug-Adrenalin, dass ich noch so in Hochstimmung bin.
Ich bin sehr früh aufgestanden und habe mich erst einmal bei einem Gang vom Flair von Christchurch beeindrucken lassen. Um 6:00 Uhr morgens hat wahrscheinlich jede Stadt eine besondere Ausstrahlung! Dabei muss ich dann feststellen, dass es mir überhaupt nicht leicht fällt, mich auf den Linksverkehr einzulassen: Straßen überqueren wird hier zum Erlebnis: Die Autofahrer fahren durchaus besonnen, relativ jedenfalls, aber ich gucke erst nach links und dann nach rechts – wie es mir im Fleisch und Blut ist. Das ist hier lebensgefährlich. Es gibt Situationen, da möchte ich mir ein Schild um den Hals binden: „Sorry, I’m German!“
Mein Appartement hatte ich nur für eine Nacht gemietet – als ich noch davon ausging, direkt Svens Auto zu bekommen -, zwei weitere werde ich in einem günstigerem verbringen. So mache ich mich nach einem kurzen Frühstück wieder voll bepackt auf den Weg.
Nicht weit weg von meinem Appartement kann ich mich bei „Stadt-Rad“ anmelden. Etwas leichter ist es nun mit dem Gepäck, fahren kann ich allerdings nicht – das Steuern ist mit dem schweren Rucksack auf dem Lenker unmöglich. Leider unterschätze ich die Länge der Straße, die ich im Stadtplan schnell ausfindig gemacht habe und befinde mich nach ca. einer halben Stunde mitten in der Stadt – in „meiner“ Straße. Allerdings am Anfang und mein neue Bleibe hat eine sehr hohe Hausnummer. 3 km weiter bin ich dann endlich da und beziehe mein Zimmer in einem Privathaushalt. Einfach, aber nett.
Nach einer kurzen Erholungspause nehme ich dann mein Fahrrad und radele fröhlich durch die Stadt – es ist unglaublich, wie viel Energie ich heute habe! Als erstes steuere ich einen Laden an, in dem ich eine neue Handy-Karte erwerbe. Nun kann ich endlich das hiesige Internet benutzen und damit Google-Maps! So komme ich schnell auf meinem Stadt-Rad, das ich auf alles Fälle den ganzen Tag behalten werde, zu dem Laden, in dem Sven sein Auto untergestellt hatte und der ausschließlich mit „Backpacker-Autos“ handelt. Supernett, unkompliziert, vertrauenswürdig.
Bei meiner Ankunft steht ein dunkelgrüner Van vor der Tür, ausgebaut zum Schlafen, d.h. die Rücksitze sind herausgebaut und stattdessen liegt da eine wunderbare 1,40 m-Matratze. Ich verliebe mich augenblicklich in diesen Wagen, so stelle ich mir mein Auto vor. Und dann mein Glück: ein israelischer Fast-Student ist gerade dabei, ihn abzugeben, in zwei Tagen geht seine Reise per Flugzeug weiter. Er macht mit mir eine Probefahrt, und ich schlage zu. Morgen wird der Wagen noch auf die Sicherheit geprüft, dann nehme ich ihn mit. Dass das so schnell gehen würde und so einfach ist, hätte ich im Leben nicht gedacht. Eine Haftpflicht-Versicherung wird die Mitarbeiterin mit mir online abschließen. Einfach, unkompliziert. Die ist hier zwar nicht zwingend, doch ob die Neuseeländer auch so gelassen bleiben, wenn ich falsch herum in den Kreisverkehr fahre und einen umniete, wage ich zu bezweifeln.
Alles im Auto ist spiegelverkehrt. So gehen immer wieder die Scheibenwischer an, wenn ich eigentlich blinken möchte….
Christchurch ist beeindruckend. Es wird an jeder Ecke gebaut, viele Häuser sind abgesperrt – man bekommt einen vagen Eindruck, wie es nach dem großen Erdbeben 2011 ausgesehen haben muss.
(Am 22.2.2011 erlebte Christchurch sein schlimmstes Erdbeben mit einer Stärke von 6,3 auf der nach oben offenen Richterskala, wenige Monate nach dem sog. Darfield-Beben, das die Küstenregion, insbesondere Christchurch, bereits schwer getroffen hatte. Das Beben dauert nur eine halbe Minute und hatte verheerende Auswirkungen: Zahlreiche Gebäude stürzten ein, Straßen rissen auf, Hochhäuser schwankten. 185 Menschen verloren ihr Leben, mehr als 5900 wurden verletzt. Auch viele historische Gemäuer stürzten ganz oder teilweise ein. Defekte Wasserleitungen überfluteten die Stadt, die Wasser- und Stromversorgung brach zusammen. Der Premierminister Key versprach die komplette Auferstehung der Stadt mit großem Kostenaufwand. Insgesamt mussten ca. 10.000 Häuser abgerissen werden, 100.000 waren teils so stark beschädigt, dass sie nicht betreten werden durften. Christchurch glich in den nächsten Monaten einer Geisterstadt und wurde zur größten Baustelle der Welt. Doch der Bürgermeister sah es auch als Chance: „Wir haben die Gelegenheit, etwas Einmaliges zu schaffen: Eine Stadt des 21. Jahrhunderts, grün und umweltverträglich.“)
Auch nun fast fünf Jahre später gleicht die Stadt noch einer großen Baustelle. Viele noch nicht abgerissene Häuser sind weiterhin nicht betretbar, dementsprechend sind auch keine Läden mehr darin. Um Abhilfe zu schaffen und der Stadt auch wenig das Leben wiederzugeben, wurden Anfang diesen Jahres im Zentrum Container aufgestellt, die als Geschäfte, Banken und Cafés genutzt werden. Kleine und größere bunte Kunstwerke finden sich an vielen Stellen, ebenso Bänke und Tische vor Imbissen und Cafés. Man blickt rundum in fröhliche Gesichter – nicht nur in die der Touristen. Woher ich wissen will, ob das Touristen sind, oder eben nicht? Heute Morgen um halb sieben in der Früh sind die meisten keine…
Nun ist es fast 22:00 und ich bin unglaublich müde. Der Jetlag, so viel frische Lust, viele, viele Wege auf dem Rad und zu Fuß…. vielleicht gibt es nachher noch Bilder – oder morgen…