1. – 9. Dezember

1. Dezember, 14:00 Uhr

im Café, wartend auf mein Auto

Bisher gibt es gar nicht so viel zu erzählen. Ich liebe diese Stadt, war sehr früh bereits wieder unterwegs, mit dem Rad um 7:00 im botanischen Garten (war seit 4:30 ausgeschlafen, habe den Weser-Kurier „durchgeblättert“ und gefrühstückt…) und bin nach einem Kaffee im „therapie “ (Da gibt doch „ich gehe in die Therapie“ einen ganz neuen Sinn…) zum Autohandel gefahren.

Ich dachte eigentlich, ich könnte meinen neuen Begleiter gleich mitnehmen, aber manches braucht dann auch hier seine Zeit. Der Check hat sich um eine Stunde verschoben, weil mein Verkäufer nicht an Land kam, aber Schnacken mit dem einen oder anderen Backpacker verkürzt die Zeit, trainiert aber leider nur selten das Englisch, denn die meisten kommen aus Deutschland…

Mein Wagen ist bis auf wenige Ausnahmen (z.B. Erneuerung der Reifen, die der Monteur auf einem nahegelegenen Schrottplatz besorgt) in Ordnung, und diese Sachen lasse ich gerade machen – die Sicherheit steht dann doch an erster Stelle. Übermorgen geht’s dann richtig los.

    

Was das Allein-reisen angeht, hätte ich nicht gedacht, dass ich es gerade zu Beginn so genießen würde. Meine Freuden (Ärger oder Traurigkeit war zum Glück noch nicht da) teile ich per SMS, ansonsten genieße ich die absolute Freiheit, die ich gerade habe. Machen, was ich gerade möchte, keine Rücksicht auf niemanden, höchstens auf die von rechts kommenden Autos…

Meine Antennen bleiben eingefahren, sie sind normalerweise immer funkbereit, bzw. in Alarmbereitschaft, trainiert, sich in alles einzumischen, aufzupassen, dass alles gut läuft. Sie erholen sich gerade wunderbar.

Das geht anscheinend bisher wirklich nur, wenn ich alleine bin. Denn mein Kopf weiß es schon lange, dass wichtige Funksignale auch ohne ständige Bereitschaft aufgenommen werden, und ich nicht für alles verantwortlich bin….

Dank der modernen Kommunikation habe ich auch nicht das Gefühl, hier wirklich alleine zu sein. Der Blog, WhatsApp, Mails – da bin ich auf der anderen Seite der Erde und trotzdem im ständigen Kontakt. Im positiven Sinne!

So, weiter geht’s wahrscheinlich heute Abend. Derzeit sitze ich gerade in einem netten Café und warte, dass es 15:00 Uhr wird, damit ich mein Auto holen kann.

1. Dezember 22:30

So, das Auto ist da, ich hab es inzwischen gereinigt, besonders innen, und nun beginnen wir, Freunde zu werden. Ordentlich ausgesaugt, alles abgewischt, in einem Secondhand-Shop habe ich günstig ein gutes Laken erstanden – wenn ich morgen noch einen Kocher und eine Kühlbox erwerbe, ist alles komplett. 3 Plastikkisten hat mein Vorgänger drin gelassen, die werde ich morgen noch auswischen und dann füllen.

Heute am späten Nachmittag bin ich noch ein paar Runden gefahren, einerseits, um mich mehr an den Linksverkehr zu gewöhnen – und weil ich keine Lust hatte, alleine im Zimmer zu sein. So halte ich dann in der Nähe der City, setze mich in die ReStart-Mall, diese Container-City, und skype mit Bernd, während er frühstückt. Die moderne Technik ist schon etwas Feines! Auf der Rückfahrt fällt mir das Linksfahren schon gleich viel leichter. Witzig ist übrigens auch, dass ich immer wieder stocke, wenn in anderen Autos der Beifahrer mit verschränkten Armen dasitzt oder sich gerade umdreht o.ä…. Naja, in drei Monaten hab ich den gleichen Spaß dann noch einmal….

Mittwoch, 02.12.2015:

Das Auto ist gepackt

Erst einmal ein ganz dolles Dankeschön für Eure so lieben netten Kommentare! Ich freue ich immer so, wenn wieder eine Mail kommt „Sie haben von …. einen neuen Kommentar!“. Meine Antwort-Gedanken kommen hoffentlich auf energetischem Wege an – sonst komme ich vor lauter Antworten nicht mehr zum Bloggen:-).
Ab morgen geht es nun also ins richtige Abenteuer, die Eingewöhnung ist vorbei. Auch habe ich nun das Gefühl, genug von Christchurch gesehen und abgeradelt zu haben, Neues ist angesagt.

Morgendlicher Cappoccino im Containerdorf…. Gleichzeitiges Skypen mit Bernd.

Nach meiner Putzaktion gestern hab ich heute für die weitere Ausstattung gesorgt: den Kocher und eine Kühlbox. Die fülle ich dann wie in den USA mit Eiswürfel und kann Milch und Käse usw. einkaufen. Die Boxen, die der Vorbesitzer drin gelassen hat, sind ebenfalls gereinigt und nun mit meinen Klamotten gefüllt, fast wie ein Kleider-, ein Vorrats- und ein Ich-weiß-nicht-wohin-damit-Schrank. Alles ist auch schon im Auto verstaut, morgen früh kommt der Rest dazu.

Heute war es unsagbar heiß: 33° C…. vormittags im Park im Schatten gut aushaltbar, nachmittags musste Eis (Magnum Pfefferminz :-)….) und eine schön kalte Cola (ich trinke sonst nie Cola!) Abhilfe schaffen.

Und im Auto konnte ich feststellen, dass ich eine funktionierende Klimaanlage habe, hurra! Und dass Dunkelgrün die Hitze ganz schön anzieht…. und wie man steuert, wenn man ein überhitztes Lenkrad nicht mehr anfassen kann….

Vorhin habe ich meinen Zimmervermieter mal gefragt, ob es hier im Laufe der Zeit so gefährlich geworden sei, dass sein Haus so dermaßen gesichert sei. Es ist wirklich unglaublich – diese ganzen Sicherheitsvorkehrungen, diverse Schlösser, Verriegelungen und Kameras sind ein Anreiz für jeden Einbrecher: „Na, kriege ich das nicht doch hin?“

Innen sieht es hier normal bis eher wenig Geld aus. Tja, die beiden haben das Haus erst vor einem Jahr gekauft, vorher gehörte es Leuten aus Südafrika. Und die waren anderes gewöhnt und haben das alles so verriegelt, vergittert und mit Kameras ausgestattet… interessant, dass sich meine Vermutung, dass die beiden paranoid sind, als völlig haltlos herausstellt.

Die neuseeländische Unkompliziertheit („everything is easy here“ – Zitat einer Neuseeländerin) zeigt sich erneut beim Bezahlen des Zimmers: weder bekomme ich eine Quittung, noch hat der Vermieter nachgezählt, noch hat er meine Daten vorher aufgeschrieben, geschweige denn, den Pass verlangt. Indes: Ich bin froh, dass ich vorher noch mal nachgezählt habe – denn da merkte ich, dass ich ihm fast das Doppelte ausgehändigt hätte. Witzigerweise bekommt man hier – das haben mir die Einwohner auch bestätigt – vorwiegend bzw. nur 20$-Scheine, wenn man Geld abhebt. Ihr könnt Euch vorstellen, was das hieß, als ich in der Bank 700$ orderte – mein Portemonnaie platzte aus allen Nähten. Dabei gibt es sowohl 50- als auch 100$ Scheine…

Okay, auch ohne Alkohol und mit einstigem Mathe-Leistungskurs ergaben bei mir 180 $ 18 Scheine… ich wunderte mich allerdings, dass von den 700 $ daraufhin nicht mehr so viel übrig war und gab meinen Gehirnzellen noch mal eine kurze Aufforderung zum Denken. Mit Erfolg! Und dann zählt er noch nicht mal nach…. Klar kommt mir der Gedanke, so typisch deutsch, dass ich jetzt keinen Beleg habe, wenn er das Geld noch mal fordern sollte. Ich bin aber überzeugt, das wird er nicht – und an die Moral will ich auch nicht denken, von wegen Schwarzgeld oder so… ich habe ja sogar offiziell über „booking.com“ gebucht.


Davon standen gleich drei vor dem Supermarkt…..

Der Linksverkehr gefällt mir immer besser, ich konnte heute sogar schon während der Fahrt nach einem Geschäft suchen, ohne nach rechts zu schwenken. Keinen Fußgänger angestupst, keinen Fahrradfahrer übersehen – na gut, von denen gibt es auch nicht so viele. Und als ich heute Abend mir ein wenig das Abendessen mit einem Spielfilm untermalte, fand ich den Rechtsverkehr schon ein wenig komisch. So schnell geht es. Ich gestehe, ich wollte einmal auf der Beifahrerseite einsteigen. Aber nur einmal – bisher… (Nachtrag: das wird mir bis zum Ende meiner Reise immer wieder passieren—)

Übrigens schließt man hier auch genau andersherum auf und zu. Ein Paradies für mich umtrainierte Linkshänderin! Nun, der Mond macht es ja vor – der abnehmende derzeit mit einem gedachten Z. Ob Bohrmaschinen und ähnliches sich dann auch konträr bewegen? Komme ich gerade drauf, weil ich kurz zugesehen habe, wie die Bauarbeiter Metallkonstruktionen verschrauben. Ich glaube übrigens nicht, dass sich noch ein Erdbeben her traut – da kann die Erde wackeln wie sie möchte – so viel Metall kann sie gar nicht umstoßen. Noch kann man sich auch nicht vorstellen, dass diese Metallkonstruktionen keine Parkhäuser sondern Kaufhäuser werden. Ich sehe es ja ein, dass die aufgebaut werden müssen, aber so ohne die hohen Gebäude gefällt mir die Stadt besser. Die paar, die noch stehen, werden sowieso platt gemacht, rein kann und darf da eh keiner. Bei den meisten ist es nicht schade drum….

Allerdings scheinen die Konstrukteure sich das anders zu denken: Bei einem, leider stand die Sonne ungünstig, deshalb kein Foto, wurde von unten jedes Stockwerk gesichert und bearbeitet. Es sah schon komisch aus, wie der Kran durch das Fenster rein reinguckte….

Donnerstag, 3. Dezember

Nun kommt der zweite Berg

Gut, ich wusste es genau: dass hinter dem ersten Berg, genannt Flug mit Flugangst, noch mehrere weitere kommen werden. Und mir ist es auch klar, dass Wissen und Erleben zwei völlig verschiedene Schuhe sind.

Der nächste Berg heißt Alleinsein mit mir selbst, und ich habe drei Monate, um ihn zu bezwingen. Sollte er zu schwer werden, wird er nach einer gewissen Zeit abgebrochen. Die Option lasse ich mir, aber sie liegt noch in weiter Ferne.

Morgens mache ich mich auf, habe mich nach einem Gespräch mit dem Vermieter und einem Blick auf die Wetterlage für die nördliche Route entschieden, über das Dreieck Hanmer Springs nach Kaikoura. Wie gut, dass ich aus Christchurch hinaus fahre und nicht hinein – das wollen nämlich alle.


Mein nächstes Ziel ist also HANMER SPRINGS, 140 km entfernt, ein Touristenort, der aufgrund seiner heißen Quellen berühmt geworden ist. Ich erreiche den Ort nach ca. 2 Stunden.

Die Quellen kann man in Form eines Schwimmbades besuchen, der Preis ist mit ca. 14 € ganz in Ordnung. Es gibt verschiedene Pools, eine reine Badelandschaft – nur habe ich überhaupt keine Lust, mich in einen Pool zu legen und zu entspannen. Und ohne Lust ist mir der Preis dann doch zu hoch.


Ich bin nicht ausgeglichen, weiß nicht so recht, was ich hier will, was ich überhaupt will, aber da würde mir der Pool auch nicht helfen. Der Tag verspricht, lang zu werden. Meistens hilft mir gegen diese innere Unruhe ein Kaffee (am liebsten mit einer meiner lieben Freundinnen!), den ich mir nun erst einmal gönne, zusammen mit Toast und verschiedenen Marmeladen – und in Gesellschaft von ca. 10 Spatzen, die teils auf dem Tisch und teils etwas gesitteter auf den Lehnen der anderen beiden Stühlen sitzen. Ich verhalte mich egoistisch und esse den Toast alleine, genieße trotzdem das niedliche Gezwitschere und den Anblick.

Nun geht es mir schon mal besser und ich bin bereit für eine Wanderung. Der Weg beginnt am Ortsende, ich schnalle meinen Rucksack und los geht’s. Die Ausschilderung ist gut – aber nicht gut genug, dass ich Orientierungslose nicht nach kurzer Zeit wieder auf dem Parkplatz lande. Na gut, den Kilometer zählen wir nicht und fangen noch einmal von vorne an. Dieses Mal klappt es, und ich bewege mich auf einem wunderschön gepflegten Weg, auf dem alle Bäume namentlich gekennzeichnet sind. Nun interessiere ich mich bekanntlich nicht so sehr für die Benennung der Pflanzenwelt, finde es aber sehr ansprechend gemacht.

Der Weg führt einen kleinen Berg hinauf und ich genieße die Aussicht. Zwischendurch singen immer wieder mir noch unbekannte Vögel, lauter neue Töne – ein Vogel ruft dauernd „ho-ka i-do“… Ich nenne ihn innerlich „Kürbisvogel“.

Bei Tieren ist mein Interesse schon anders: Ich werde und möchte herausbekommen, wie sie heißen. Nur steht es da ja leider nicht drauf…

Trotz der schönen Natur und der Bewegung hat sich mein Innenleben mittlerweile selbstständig gemacht, und ich fühle mich zunehmend einsam und verkehrt hier. Der Aufstieg meines nächsten Berges hat begonnen. Es gibt keine Abkürzung, keinen Weg drum herum, keine Mitfahrgelegenheit. Aber Skype und WhatsApp! Danke liebe Erfinder!!!

In Gedanken an diesen Blog kann ich meine Gedanken und Gefühle ordnen. Ich entscheide mich, nicht erst morgen wieder an die Küste zu fahren und gebe meiner Unruhe nach. Auf einer wunderschönen alpinen Scenic-Route reise ich durch eine grandiose Landschaft, sehe massenweise Schafe, Rinder, Alpakas und eine riesige Hirschherde (ebenfalls nicht wild) und komme wieder mehr zu mir.

Ich lasse mir Zeit, kann mich an den Schönheiten freuen, erlaube mir zwischendurch einen weiteren Kaffee und erreiche am frühen Abend den Pazifik wieder.

In Kaikoura, bekannt für Wal- und Delfin-Beobachtungen, fahre ich gleich direkt ans Wasser und genieße die beruhigende Wirkung. Und es soll noch besser kommen.

Mit meinem iPhone und der Kamera bepackt möchte ich bis zum nächsten Aussichtspunkt gehen, ein kleiner Weg. Es geht steil bergauf, und schon nach kurzer Zeit genieße ich einen großartigen Blick aufs Meer. Aber dahinten, da wird es doch bestimmt noch besser? Also weiter, ich entdecke den nächsten Punkt – den schaffe ich auch noch, immer weiter geht es in Richtung offenes Meer.

Vielleicht kann ich Wale sehen? Vielleicht, wenn ich vielleicht zumindest ein Fernglas dabei hätte. Aber auch dieser Weg ist schon nett, ganz oben auf der Steilküste. Als ich gerade umdrehen möchte, sehe ich eine Treppe, die mach unten führt nach unten – gut, ich könnte ja auch am Strand zurückwandern – der Strand besteht aus weißen Kieselsteinen und riesigen Steinplatten.

Zunächst aber sehe ich eine Seehundkolonie. Ich gehe weiter, mache Bilder, bin fasziniert – und alleine, fühle mich aber nicht einsam. Es ist herrlich! Hier ist das Alleinsein ein Genuss! Nicht nur, weil ich das Schild „hier bitte nicht weiter“ übersehe und noch sehr vorsichtig einige Meter gehe, um noch besser zu sehen. Und auf dem Rückweg sehe ich eine Kolonie von Seehunden nach der anderen. Es ist faszinierend! Immer wieder höre ich einige rufen oder husten, gehe nicht weiter heran und staune. Ich bin gespannt, ob der Rückweg am Wasser möglich ist, denn es kommen einige Felsen, die ich umrunden muss und noch nicht weiß, ob es durchgehend einen Weg auf Steinen gibt und nicht womöglich plötzlich ein steiler Fels direkt ins Wasser führt.

Durch eine aufziehende Gewitterfront, die zum Glück sich woanders entlädt, entsteht ein unglaubliches Licht! Ich drehe mich immer wieder um, um dieses tiefe Blau mit dem goldenen Licht in mich aufzusaugen.

Es bleibt spannend – klar, es gäbe den Weg zurück, aber der wird immer weiter. Irgendwann muss ich an 4 Seehunden vorbei, ich habe außer dem direkten Weg zurück keine andere Wahl.

Sehr vorsichtig, ich möchte diese gemütlichen Tiere doch wirklich nicht aus der Ruhe bringen, schlängle ich mich in einer Distanz von ca. 5 m an ihnen vorbei, immer in der Gewissheit, dass ich im Notfall schneller bin als sie. Nebenbei muss ich gut aufpassen, wohin ich trete, es ist zum Teil eine richtige Kraxelei. Und schon ist überraschend wieder ein gewaltiger Seehund fast neben mir, und ich hab ihn durch die Aufmerksamkeit auf den Weg nicht bemerkt. Erschrocken bin ich schon.

Einer bellt mich an, liegt direkt neben mit, versteckt im Felsen. Wie er dahin gekommen ist, würde ich zwar gerne wissen, beschränke mich aber aufs Weitergehen. Ich bin ja immer noch nicht sicher, ob ich nicht doch noch umkehren muss. Bisher kommt ein Felsenvorsprung nach dem anderen – ob ich immer einen trockenen Weg finde bei dem auflaufenden Wasser ist noch ungewiss.

Ich komme wohlbehalten am Auto an. Inzwischen ist es 21:00 Uhr, es ist höchste Zeit, einen Campingplatz ausfindig zu machen. Meine erste Nacht im Auto, ich bin so müde, dass ich mich wirklich nur darauf freue.

Und somit schreibe ich auch den Blog erst heute Morgen, schön auf einer Bank an der Küste. Dann werde ich mir eine Bücherei suchen, den Text kürzen und mit Fotos spicken.

1. Nachtrag:  Es waren keine Seehunde, sondern Seebären. Hatte schon überlegt, dass sie mich irgendwie an Bären erinnerten….
2. Nachtrag:  wenn sie sich bedroht fühlen, können sie ganz schön schnell werden – hab ich heute gelesen…. und bin froh, dass ich es gestern nicht wußte.

4. Dezember: Kaikoura

Gibt es einen schöneren Ort zum Schreiben? Ich sitze im Sonnenschein am Pazifik im Sonnenschein auf einer Bank, keine Menschenseele weit und breit. Ich weiß es nicht, werde aber weiterhin meine Augen offen halten.

Heute werde ich meine Reise fortsetzen, aber erst einmal bin ich wieder an die Küste gelaufen, um hier meine Gedanken in Schriftform zu ordnen. Meinen Becher Tee neben mir, dezentes Möwengeschrei im Hintergrund.

Ich glaube, es war doch nur ein kleines Hügelchen vorgestern – der sich einfach aufgeplustert hat. Am nächsten Tag, also gestern, bin ich schon wieder wesentlich ruhiger und zuversichtlicher. Ich erinnere auch, dass die ersten Tage in den Staaten oder in Kanada sehr ähnlich waren, und da war ich noch nicht einmal alleine….

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Memorial Park  

 

Den gestrigen Tag verbringe ich hier in Kaikoura an der Küste. Ich wandere am Meer entlang, entdecke noch mehr Seebären, hänge meinen Gedanken nach und genieße Aussicht und Silke-Wetter: 21 Grad und Sonne. Setze mich auf eine Bank in die Sonne und erlebe ein wenig das Stadt-Treiben wie zum Beispiel eine Kindergartengruppe auf der anderen Straßenseite: alle tragen hier eine Schul- bzw. Kindergartenuniform. Das ist zwar für so manche Länder nichts Ungewöhnliches, aber sogar die Sonnenhüte sind hier einheitlich. Bei den kurzen Hosen dürfen sie offenbar wählen: blau oder rot. Am liebsten würde ich sie einzeln knuddeln, so süß sehen sie aus, wie in zu zweit Hand-in-Hand laufen.

Abends wird es recht schnell kühl und ich verschwinde bereits um 21:00 Uhr in meinen Schlafsack. Wie manches Mal zu Hause gucke ich noch ein wenig iPad-Fernsehen und hab dann eine sehr erholsame Nacht. Ich nächtige auf einem Grundstück eines Hostels und habe mich nach der ersten Nacht zwischen mehreren Campern direkt an den Fluss gestellt. Es ist superidyllisch! Küche und sanitäre Anlagen sind gut zu erreichen und ich lerne die Vorzüge des „Camping-Wasserboilers“ kennen: nahezu auf jedem Platz findet sich so einer an der Wand, aus dem man sich permanent Heißwasser holen kann. Nicht sehr ökologisch, aber für mich klasse!

Erst habe ich überlegt, eine Wal-Beobachtungstour zu machen, und so reizvoll das sicherlich ist- ich habe Wale mit Bernd in Kanada gesehen und ebenfalls Delfine, ich lasse es und freu mich einfach über die Seebären.
Anders als zuhause höre ich bisher noch gar keine Musik oder Hörbücher, gebe mich einfach meinen Gedanken hin. Keine Zeitung zum Frühstück, kein Roman beim Wandern. Einfach da sein. Bei mir.

Meine Gedanken, eine Wal-Beobachtungstour zu machen, habe ich „über Bord geschmissen“. So reizvoll das sicherlich ist – ich habe Wale mit Bernd vor zwei Jahren in Kanada gesehen und ebenfalls Delfine -, ich lasse es und freu mich einfach über die Seebären.

Anders als zuhause höre ich bisher noch gar keine Musik oder Hörbücher, gebe mich einfach meinen Gedanken hin. Keine Zeitung zum Frühstück, kein Roman beim Wandern. Einfach da sein. Bei mir.

Samstag, 05.12.2015

Seebärenbabys und anderes

Allmählich lerne ich es, den Tag ruhiger angehen zu lassen. Anstatt schnell zu frühstücken und dann weiter, um bald am neuen Ort zu sein, läuft es nun ganz gemächlich….

Wie Ihr ja gesehen habt, habe ich erst den Blog am Wasser geschrieben, dann noch die Geräte ein wenig am Stromnetz aufgeladen, Tee getrunken und bin dann in Ruhe losgefahren. Auf den Tipp von Björn hin kaufe mir noch eine ausführliche Karte von der Südinsel – die doch auch gleich heute am späten Nachmittag ihren Zweck erfüllt und mir diesen Naturcampingplatz zeigt. Aber der Reihe nach:

Gemütlich zieht sich meine Route entlang der Pazifikküste, ab und an halte ich kurz für Fotos. Dann aber kommt ein Aussichtspunkt, von dem ich mich kaum losreißen kann – so manche von euch haben heute Nachmittag da schon in meiner Begeisterung Bilder über WhatsApp bekommen: Seebären mit ihren Kleinen – so ein Spaß!

 

Dazu die kräftigen Wellen des Ozeans. Immer wieder rutschen Alte und Junge ins Wasser, tummelten sich darin, kletterten wieder an Land. Ein Kleines will den Felsen weiter rauf – und kullert immer wieder runter, bis die Mama (vielleicht war es auch der Vater…) ihm hilft. Ich lache fast Tränen und bin froh, dass ich alleine hier stehe, erst einmal jedenfalls. Es ist ein Genuss, ein Gute-Laune- Blick.

Bald füllt sich der Aussichtspunkt, ich schnacke noch etwas und fahre dann weiter. Keine Ahnung, wie viele Bilder ich geschossen habe, ich werde gut sortieren müssen….

Die Mittagspause verbringe ich mit einem Cappuccino ca. 15 km vor Blenheim, ganz idyllisch auf einer Terrasse. Deutsche Gäste, die zwischendurch reinkommen, vergleichen diese Lokalität mit der „Kupferkanne“ auf Sylt – sie haben recht….

Ach ja, irgendwann kommt ein junger Mann, ich denke, ein Inder, mit zwei Polizisten hinein. Warum das bemerkenswert ist? Nun, man sieht sich immer zweimal – manchmal auch öfter:

Der junge Mann stand an der Straße am Ende von Kaikoura und trampte in meine Richtung. Ich ließ ihn stehen, mochte das aber nicht einfach so, sondern machte das Tramperzeichen, dass ich hier bleiben würde (Zeigefinger nach unten). Ich wollte einfach keinen mitnehmen, keinen Smalltalk machen, wollte nur meinen Gedanken nachhängen und anhalten, wo und wie lange ich möchte… das tat ich dementsprechend ja auch bei der oben erwähnten Stelle. Wenige Kilometer hinter diesem Halt stand er schon wieder… nicht zu verkennen mit seiner Anzughose und dem dunkel gemusterten Hemd…. Ich ließ ihn wieder stehen – s.o.

Irgendwie dachte ich beim ersten Mal schon: den sehe ich wieder… aber ich denke ja viel, wenn der Tag lang ist.

Nun ja, und in dem Café sehe ich ihn nun zum dritten Mal. Offenbar haben die Cops ihn mitgenommen, gemeinsam trinken sie irgendein Flaschengetränk und scheinen sich nett zu unterhalten. Ich hoffe ja schon, dass er mich nicht wiedererkennt. Warum kann ich nicht einfach dazu stehen, dass ich gerade alleine fahren möchte??!!

Nachmittags erreiche ich Blenheim. Dort beginnt gerade, als ich den Wagen parke – eigentlich nur, um im „waremarket“ vielleicht ein Mückennetz zu kaufen, ein großer bunter Umzug.

Also Mückennetz egal, rein ins Leben! In solchen Fällen ist es dann endlich mal ein Vorteil, dass mein Mann nicht dabei ist (sorry, Bernd!), aber der mag nun mal nicht so sehr die Menschenaufläufe! Es ist die reine „Weihnachtsvorfreude“: eine Christmas-Parade! Wie bei uns der Ernte-Umzug. Allerdings werden keine Bonbons geworfen, sondern einzeln verteilt. So bekommt wirklich jedes Kind nur wenige Süßigkeiten und ein paar Aufkleber, und immer ganz persönlich. Der Umzug dreht sich auch vorwiegend um Kinder, richtig schön! Und die Wagen sind natürlich weihnachtlich geschmückt.

Aber was für mich fremd ist, ist hier ja Alltag. Die hatten, denke ich jedenfalls, hier noch nie Schnee an Weihnachten und es wurde auch noch nie um 16:00 am Heiligen Abend dunkel! Ich überlege nur, was die im Winter machen, so ohne Weihnachtsbeleuchtung. Das, was bei uns doch die dunkle Jahreszeit so attraktiv macht – wenn es nicht gerade übertrieben wird.

Als ich kurz danach im Auto auf meine neu erworbene Karte gucke, wo ich übernachten will und von den Möglichkeiten fast erschlagen werde, kommt ein Ehepaar, bietet mir Hilfe an und schlägt mir diesen Campingplatz vor. Und somit bin ich hier gelandet, direkt an der Küste, mit einem kleinen Wanderweg nebenan, den ich heute Abend noch abgelaufen bin, 30 min inclusive WhatsApp schreiben hoch, 10 min wieder runter, also ein kleiner Weg und keine sportliche Silke :-).

Ach ja, und daneben geht eine Treppe den Felsen rauf, über die man zu einer kleiner etwas versteckten Bucht kommt. Gerade als ich oben die Aussicht genieße, kommt eine Hochzeitsgesellschaft, sprich ein Brautpaar und ca. 5-6 Freunde, zum Foto-machen. Die Braut kraxelt mit ihrem Liebsten, der es mit seiner Kleidung um einiges leichter hat, hoch, um die ideale Position zu haben.

Ich hoffte nur, dass sie nicht danebentritt… Alles geht gut, und es werden bestimmt tolle Bilder- so man das denn mag….

Nach dem Brautschau-Erlebnis möchte ich auch noch im Pazifik schwimmen gehen. Die Wellen und die Farbe des Meeres sind höchst einladend. Voller Tatendrang ziehe ich mich um, gehe an den Strand – und muss feststellen, dass die Wellen viel zu stark sind, um einfach eine kleine Runde zu schwimmen. Ganz abgesehen davon, dass ich mich nicht langsam ans Wasser gewöhnen kann…. Also wird aus der Schwimmaktion eine kleine Spazieraktion…

Es ist schon irre, wie viel ich erlebe, ohne etwas zu planen. Und damit mehr Einblicke in die andere Kultur bekomme. Dass ich gerade in Blenheim ankomme, als der Umzug startet. Dass das Brautpaar Bilder machen wird, wo ich auf dem Hügel bin. Lauter Glücksmomente!

Sonntag, 06.12.2015:

Fast wie in Norwegen

Es war so angesagt – und ich bin froh, dass ich in meinem Auto und nicht in einem Zelt schlafe: in der Nacht regnet es ordentlich. Und somit ist es kalt und wolkig am Morgen, und die dann noch kalte Dusche bringt das richtige Camping-Feeling! Das nenne ich Abhärtung und fühle mich unsagbar stark und mutig. Zum Glück habe ich noch keinen Hunger und mache mich dementsprechend gleich auf den Weg. Bis Picton ist es nicht weit – es ist eine kleine nette Hafenstadt, mit der einzigen Schiffsverbindung zur Nordinsel.

In einem kleinen Café nehme ich ein kleines Frühstück zu mir und versuche, Fotos für meinen Blog hochzuladen. Aber das Internet ist zu langsam, da werde nachher noch einen anderen Platz finden müssen. Also schreibe ich nur und stelle es dann später hinein.

Anschließend habe ich nun wieder die Qual der Wahl der verschiedenen Wanderwege: Eigentlich möchte ich ja alles sehen, aber das ist bei mir normal. Auch eine Übung dieser Zeit hier: es geht nicht alles, und schon gar nicht in Ruhe. Und Hektik ist in Neuseeland per se verboten, jedenfalls bei mir! Ich beschränke mich auf einen Weg, der direkt in der Stadt beginnt und eine Stunde dauern soll, ein mittlerer Morgenspaziergang. Habe ich gedacht. Natürlich finde ich nicht sofort den Parkplatz, den ich brauche und habe schon mal einen kleinen Anmarsch zum Beginn des Weges. Es geht bergauf auf eine Landzunge, der Wanderweg trägt den treffenden Namen „Snout“ (Schnauze).

Ich bekomme wunderschöne Aussichten auf einen Teil des Marlborough Sounds, der mich stark an Norwegen erinnert. Der Hinweg dauert wirklich eine halbe Stunde, und so schließe ich gleich noch den nächsten Track an, der an die „Snout-Spitze“ geht – immerzu bergab. Oh weh, das muss ich nachher ja alles wieder rauf, aber daran will ich erst später denken. Während ich auf dem ersten Teil noch wenige andere Wanderer treffe, bin ich nun ganz alleine – aber alles andere als einsam.

    der kam einfach auf mich zu!

Ich hätte nie zu träumen gewagt, dass ich das so genießen könnte, dass ich keinerlei Angst verspüren würde, keinen Gedanke, was wäre, wenn…..

Mit meinen Fotoutensilien (iPhone und Fotoapparat) und immerhin einer Flasche Wasser ausgerüstet klettere ich die zum Teil glitschigen Wege hoch und runter. Der Rückweg wird wirklich anstrengender, und ich bedauere es langsam, dass ich nichts zu essen dabei habe. Na ja, dass es sich auf den letzten drei Kilometern einregnet, müsste nicht unbedingt sein, so kann ich keine Bilder mehr machen. Ansonsten stört es mich als Norddeutsche nicht, ich kann ja bald meine Klamotten wechseln. 10 km bin ich insgesamt gewandert, das fällt nicht mehr unter „normaler Spaziergang“ und ich bin superglücklich über meine Entscheidung. Habe nun das Gefühl, einen guten Teil der Natur gesehen zu haben, die das hier ausmacht und fahre weiter in Richtung Nelson. Schnell noch einen Einkauf im Supermarkt in der Innenstadt von Picton und dann eine möglichst zügige Flucht vor der nächsten Christmas-Parade, die sich gerade nähert. Eine in zwei Tagen reicht.

Die Route wähle ich bewusst am Wasser aus – Google Maps versucht doch glatt, mich immer wieder auf die zwar längere, aber sicherlich viel schnellere Inland-Straße zu leiten. Aber ich setze mich durch! Es geht über kurvige Bergstraßen, anstrengend zu fahren, aber mit grandiosen Aussichten. Und ich habe ja Zeit. Nichts und niemand drängt mich, vor allem nicht ich. Eine wunderbare Erfahrung! Ich vertraue darauf, dass ich zu gegebener Zeit einen Campingplatz finde, mache mir keinen Gedanken darum. Und so erreiche ich Nelson am frühen Abend, parke direkt an der Kathedrale und sehe sie mir an.

Obwohl dort ein kleiner Gottesdienst stattfindet, ist sie für Besucher geöffnet und ich setze mich ein wenig dazu. Religiös oder nicht – in mir ist eine dermaßen starke Dankbarkeit für das, was ich erlebe, für meine Familie, die mir das ermöglicht, für die Freunde, die mich in Gedanken begleiten, für so liebe Worte, die mich erreichen und so weiter…. Ich habe noch nie in einer Kirche eine Kerze angezündet, ich bin ja auch nicht katholisch, hier aber tue ich das. Und sende dankbare Gedanken ins Universum.

Der Campground ist sehr zentral und trotzdem ruhig. Ich koche mir meine Nudeln mit Olivenöl, Knoblauch und Tomaten und komme mit einer Schottin ins Gespräch, die seit 8 Jahren in Neuseeland lebt und am liebsten mit ihrem Fahrrad unterwegs ist.

Sie zeigt mir später an ihrem Zelt, was sie alles verstaut, für ihren vierwöchigen Urlaub und ich vergleiche sie mit „Mary Poppins“, die ja ihren ganzen Hausstand, inklusive ihrer Stehlampe aus einer Reisetasche holt. Wie sitzen abends noch lange zusammen und schnacken. Es ist sehr gemütlich – und abgesehen von einem netten Gespräch eine tolle Gelegenheit, mein Englisch zu trainieren.

Nun bin ich wieder im Zentrum der Stadt, habe mir die Stadtbücherei gesucht, und sitze ganz gemütlich, um zu schreiben. Mein Plan ist, weiter in den Abel Tasman Nationalpark zu fahren und dort dann morgen den Great Walk zu machen – 4 Tage Wandern! Das Wetter ist klasse angesagt und ich bin gespannt! Wenn ihr also nun einige Tagen nichts von mir hört – habt Geduld, ich komme ja wieder:-)

Montag, 07.12.2015:

Und wieder rein in die Natur

Den Vormittag verbringe ich noch weiterhin in Nelson. Ich suche zunächst einen Supermarkt, um mit dem dortigen Wifi mit Bernd zu skypen und suche anschließend einen Parkplatz am Rande der Stadt, um nicht daran denken zu müssen, Geld nachzustecken. Mein Weg führt zunächst in die Stadtbibliothek, denn mein Blog möchte fortgesetzt werden, und es ist mir zu einer so lieb gewonnen Gewohnheit geworden, vormittags erst einmal meine Gedanken die Geschehnisse des Vortages zusammenzufassen.

Nun allerdings ist es Abend, und ich sitze in meinem Auto in Marahau. Hinter den Bergen verschwindet die Sonne gerade, es ist man gerade halb neun – und aufgrund des eisigen starken Windes zu kalt, sich ohne Winterklamotten draußen hinzusetzen. Und die habe ich nun einmal nicht mitgenommen.

Morgen früh werde ich meine erste 4-Tagestour machen. Für diesen Great-Walk muss man sich anmelden und alles genau im Voraus buchen. Also welchen Campingplatz ich wann aufsuche. Über eine Hüttenübernachtung brauchte ich gar nicht nachzudenken, die sind bereits alle ausgebucht. Nur wenige entscheiden sich so spontan… Der Abel-Tasman-Walk gilt als einer der schönsten in Neuseeland. Ein sehr netter, geduldiger junger Mann berät mich bestens, und nun werde ich morgen früh als erstes mit dem Boot hochfahren, die obere Zunge rundwandern und mich danach „nach unten“ begeben. Meinen Wagen lasse ich hier am Beginn des Naturschutzgebietes stehen. Den Rucksack habe ich gepackt und ich hoffe, dass die Nahrungsmittel für vier Tage reichen werden. Soweit plane ich doch nie im Voraus – nicht einmal zu Hause…

In Nelson habe ich heute noch eine warme (ich hoffe!), leichte Isomatte erstanden sowie einen leichten Blechbecher, der nun außen baumelt. Aufgeregt bin ich, oh ja!

Ich erreiche Marahau, das abgeschottet von einem relativ hohen Berg direkt am Pazifik liegt. Von hier starten die meisten Touren. Ich genieße eine wunderschöne Szenerie, den nie ruhigen Pazifik und so viel Grün – und keinen Netz-Empfang…

Mir wird bewusst, dass ein weiteres Stück meines Berges bevorsteht, und ich bin unsicher, wie ich ihn meistere. Ich weiß aber, dass ich mich darauf einlassen will – und das ist bekanntlich schon mal eine gute Voraussetzung!

Als ich am Campground ankomme und eingecheckt bin, werde ich leicht nölig, finde dies doof und das blöd – auf Gut-Silke-Deutsch: ich habe Angst vor der langen Wanderung und fühle mich so abgeschnitten ohne Netz. Kein aufmunterndes Wort meiner Lieben ist möglich, hier muss ich alleine durch. Ich weiß nicht, wo ich mein Auto für die Zeit lassen soll, wird mein Rucksack zu schwer, was werde ich brauchen, was ich nicht mithabe? Werde ich auch nicht verhungern? Wann würde man mich finden? ….

Da meldet sich eine innere Stimme (sie klingt sehr ähnlich wie die meines Mannes…), dass ich mich nun erst einmal aufmachen soll, das Büro des Wassertaxis suchen und auf dem Weg dorthin einen Kaffee trinken soll. „Keine Hektik, du hast nicht als einzige ein Auto, das ein paar Tage alleine bleiben muss.“ Gut, so mache ich das, erreiche ein nettes Café – und habe mein Geld im Auto auf dem Platz gelassen. Oh nein, so schnell gebe ich schon lange nicht mehr klein bei, meine Nerven sind wieder überraschend stabil, also gehe ich zurück zum Campingplatz- und fahre mit dem Auto zum Wassertaxi-Büro, lasse den Kaffee aber aus. Mir wird gleich erklärt, wo ich das Auto parken kann, alles kein Problem, und nein, es kostet auch nichts extra. Nun bin ich beruhigt, mache ein paar Fotos von der traumhaften Umgebung und kann meinen großen Rucksack packen.

Nicht nur, dass ich mich von der Außenwelt abgeschnitten fühle, nein, es gibt auch keine Alleinreisenden hier, zumindest habe ich keine gesehen. Alles Jugendliche hier, teilweise ganze Gruppen, was sicherlich auch mit daran liegt, dass ich auf einem Backpacker-Campground bin… Und nun kommt mein ach so schönes ABER: nach dem kurzen Gefühls-Intermezzo fühle ich mich nicht mehr einsam, jedenfalls nicht dolle, vielleicht ein ganz klein wenig, und ich fühle mich nicht ausgeschlossen, das wäre vor einigen Jahren auf jeden Fall so gewesen. Ich mache das, was wir alle viel öfter tun sollten: ich bin stolz auf mich und verbuche den für mich großen Erfolg auf mein neu eröffnetes Erfolgskonto!

Ich sitze ein wenig draußen vor meinem Van, esse eine Packung Tomaten und trinke meinen Tee, und da macht es aufeinander „Pling“, und noch einmal, und noch einmal. Kleine SMS sind eingetroffen! HURRA! Nur kann ich nicht antworten, so gut ist das Netz doch nicht. Es sieht bestimmt komisch aus, wie ich über den Platz wandere, hier probiere, da teste, um herauszufinden, wo vielleicht etwas mehr Netz ist – und da finde ich die geeignete Stelle und bin so glücklich, noch schnell die eine und andere SMS zu verschicken. Süchtig? Nein! Abhängig! Eine Antwort, wo der Unterschied liegt, gibt es hier nicht.

Dienstag, 08.12.2015:

Falscher Ehrgeiz zahlt sich nicht aus

Um 6:00 Uhr wache ich auf, dusche und packe die letzten Sachen zusammen. Ich kann nicht abschätzen, ob mein Rucksack zu schwer ist. Ich bin aufgeregt – werden meine recht knapp bemessenen Nahrungsvorräte reichen? Was, wenn nicht? Wie wird es mit Wasser sein? Ich weiß, dass es einige Stellen mit Frischwasser gibt, aber…

Um 9:00 startet das Wassertaxie, bis dahin bin ich ein einziges Nervenbündel. Sehr zeitig am Office parke ich mein Auto, checke ein, laufe zurück zum Parkplatz, um doch noch etwas auszupacken, was ich denke, nicht zu brauchen. Oh weih, so unsicher hab ich mich seit, ach ich weiß nicht was, mehr gefühlt!

Nun geht‘s los. Mit ca. 20 Leuten werden wir im Boot auf einem Hänger per Trecker zum Wasser gezogen und dort zu Wasser gelassen. Anschließend beginnt eine rauschende Fahrt – schon mal klasse! Motorbootfahren bringt ja solchen Spaß! Ich vergesse meine Unsicherheiten, fühle nur den Wind um die Nase, die einzelnen Spritzer im Gesicht. Meine Güte, ist das schön, das könnte man öfter machen.

  

Nach zwei Stunden und mehreren Anlaufstellen bin ich an meinem gewünschten Ziel – im Norden des Abel-Tasman-Nationalparks. Hier baue ich rasch mein Zelt auf und plane dann einen 6-Stunden Walk über den Nordzipfel zu machen.

Damit ich mit meinem Rucksack gut laufen kann, lasse ich das meiste in meiner Schlafhütte. Meine Aufregung ist wieder zurück, aber ich lasse mich davon nicht beeindrucken.

Noch weiterhin unsicher und ängstlich mache ich mich auf den Weg – Bewegung tut gut, gerade in der wunderschönen Natur. Trotzdem geht es in meinem Kopf nur: „Hab ich genug zu essen mit?“ – „Hab ich etwas ausgepackt, was ich noch brauche?“ – „Mist, mein Taschenmesser, das brauche ich bestimmt“ – „und nur Haferflocken?“ Da fällt mir ein, dass ich ja auch noch Nudeln und ein Stück Käse dabei habe, verhungern werde ich sicherlich nicht!

So kann ich allmählich ruhiger weiter wandern und die Natur genießen. Schon bald kommt eine Abzweigung über einen Berg: „Klar, die nehme ich, möchte ja alles sehen, was mir der Weg so bietet, und das gibt Schritte auf meinem Tageszähler!“

Es geht steil bergauf – und ich lerne schnell, dass ich langsamer besser ans Ziel komme. Ich notiere mir das innerlich als „Wichtig für alle Lebenslagen“.

Es ist ein schöner, aber sehr anstrengender Weg, hoch und runter, und ich gehe davon aus, dass ich mich auf dem eigentlichen Wanderweg befinde. Weit gefehlt – mein Ehrgeiz hat mich bewogen, einen Berg-Rundweg von fast 3 km zu machen – ich stehe wieder am Anfang. Hätte ich doch besser einmal genauer auf meine Karte geguckt!

Mutig gehe ich weiter, nun richtig, wohl wissend, dass ich mir den Weg ruhig hätte schenken können. So toll war der auch nicht…

In der nächsten Bucht, meinem nächsten Etappenziel, gehe ich mich erst einmal abkühlen und, naja, springe ist leicht übertrieben, taste mich also in den Pazifik hinein. Eiskalt, erfrischend, herrlich! Anschließend setze ich mich hin und denke nach, ob es wirklich sinnvoll ist, die geplante Wanderung komplett heute zu gehen. Ich habe 7 km hinter mir, es scheint mir gerade mal ein Viertel zu sein. Keine Frage, meine Beine haben ein Mitspracherecht, und ich trete den Rückweg an – mit dem Gefühl, voll versagt zu haben. Oh, wie ich dagegen arbeite – solche Gefühle haben auf solch einer Wanderung gar nichts zu suchen!

Als mir dann klar wird, dass ich zur Not, falls die Reiseführer sagen, ich hätte die schönsten Stellen verpasst, mit dem Auto hier hochfahren und das noch abwandern kann, wird es leichter um mein Herz. Falls…..

So, das ist eine Lösung, mit der kann ich gut leben. Mein Kilometerzähler zeigt am Ende an, dass ich 11,2 km gelaufen bin – ich habe alles richtig gemacht! Noch 20 km mehr- nein, das hätte ich nicht geschafft.

Doch was mache ich mit dem Rest des Tages? Ich habe nichts zu lesen mit und mein Handy ausgestellt, um Strom zu sparen. Meinen Zusatz-Akku habe ich nämlich auch im Auto gelassen, was ich jetzt bereits bereue. Also koche ich mir Nudeln mit Käse, setze mich auf einen riesigen Baumstumpf und schreibe meinen Bericht. Zwischendurch gehe ich noch einmal ans Zelt, um eine lange Hose und ein langarmiges Shirt anzuziehen – die Sandflies nerven und beißen – mein Insektenspray hab ich nämlich auch wieder ausgepackt…

Auf dem Campingplatz ist die Einsamkeit am größten. Alle anderen Wanderer sind zu zweit oder in Gruppen. Ich gehe zwischendurch duschen, am Strand spazieren, alles, um nicht allein am Zelt zu sitzen, ohne etwas zu tun. Eine weitere, gar nicht so kleine Lernaufgabe, das auszuhalten…

Irgendwann komme ich noch mit einem netten deutschen Pärchen ins Gespräch. Das tut mir sehr gut vor dem Schlafengehen. Um 21:00 Uhr liege ich dann im Schlafsack.

Mittwoch, 09.12.2015:

Und immer wieder etwas Neues….

Zwar kann ich länger nicht einschlafen, aber um 6:30 Uhr ist die Nacht definitiv für mich zu Ende. Ein kleines Frühstück – Haferflocken in heißem Wasser -, alles wieder gut verstaut und auf geht’s in die nächste Runde. Ich bin eigentlich viel zu früh, denn ich muss eine Tiden-abhängige Stelle durchqueren. Und Ebbe ist erst um 15:00 Uhr – zwei Stunden vorher kann man loswandern, je nachdem, wie nass man werden möchte. Der Weg ist wunderschön, aber mit dem schweren Rucksack auch recht mühsam.

Viele Gedanken kommen mir – sicherlich als Folge der Einsamkeitsgefühle des Vortages. Ich habe Heimweh, denke mit Grauen an Weihnachten und würde am liebsten gerade alles abbrechen. Die Gedanken an meine Lieben geben mir allerdings auch Trost und den Mut, weiterzumachen. Hoffe ich…

Mittendrin fällt mir ein, dass gerade jetzt eine Kukuk-Probe ist, dass da bestimmt über mich geredet wird, vielleicht gefragt wird. Auch der Gedanke tut gut. (Falls dem nicht so war – auch nicht schlimm, half mir trotzdem – Anmerkung einige Tage später)

(Der Kukuk-Chor in Worpswede unter der Leitung von Simone Theobald ist eine nette gemischte Singgruppe, die aus dem „Verein für Kunst, Kultur und Kreativität“ entstanden ist. Ich singe dort seit zwei Jahren mit.)

Viel zu früh, wie zu erwarten, erreiche ich die Bucht, die es bei Ebbe zu durchqueren gilt. Drei Stunden werde ich nun an diesem verlassenen kleinen Strand verbringen, die erste Zeit auf jeden Fall ganz allein. Es ist wunderbar! Ich nutze die Zeit, in meinem kleinen Notizbuch die Erlebnisse des Vortages und des heutigen Morgens aufzuschreiben, denn ich bin sicher, dass ich sonst einiges nachher noch im Gedächtnis habe – und wahrscheinlich auch nicht so viel Lust, alles nachzuarbeiten.

Schon bald folgt der nächste Schreck: Anzeichen, dass ich meine Regel bekomme. Oh Mist, darauf bin ich nicht vorbereitet! Alles im Auto… Wenn sich das bewahrheitet, werde ich abbrechen müssen, werde mit dem Wasser-Taxi wieder zu meinem Wagen fahren müssen.

Inzwischen sind mehrere Leute gekommen, die nun ebenfalls auf die Ebbe warten. Ich spreche die erste Frau an, die mir prompt einen Tampon gibt. Von einem nächsten Mädel bekomme ich weitere zwei und schon wächst mein Vertrauen, dass ich diesen Tag schon mal weitermachen kann. Immer wieder spreche ich Frauen an, es kostet mich Überwindung, mich, die doch jeden locker anquatscht…. Ich habe immer wieder mal Erfolg.

Ich finde es übel, wie unangenehm es mir ist, zu fragen. Wir leben im 21. Jahrhundert und ich fände es völlig okay, gefragt zu werden, aber selbst um Hilfe, und dann noch um solche, bitten zu müssen, fällt mir sehr schwer. Nun, ich werde mich darin üben – müssen.

Um 13:30 Uhr mache ich mich mit vielen auf den Weg durch das Watt. Die Priele sind noch so voll, dass das Wasser bis zu den Knien geht. Unglaublich, was für eine starke Strömung herrscht! Nun verstehe ich endlich, was ich in der dritten Klasse in „Sachkunde“ über die Gefahr von den Gezeiten habe lernen sollen!

Drüben angekommen komme ich mit einem Spanier ins Gespräch, der genau wie ich einen alternativen, durchaus ausgewiesenen Weg sucht, der an einem Café vorbeigehen soll, leider aber nicht zu finden ist. Wir wandern nun den nächsten Teil gemeinsam. Die Zeit vergeht dadurch schnell – die Konzentration richtet sich mehr auf das Finden der richtigen englischen Worte beim Smalltalk als auf die Steigungen. Nichtsdestotrotz bin ich total kaputt, als ich meinen Campground endlich erreiche, der Spanier muss noch 4 km weiter. Wieder heißt es Zelt aufbauen und sich dann noch ein wenig ans Wasser setzen.

Anschließend schnacke ich noch sehr nett mit einem amerikanischen jungen Paar. Er kommt aus Portland, sie aus Salt Lake City – das sind ca. Ca. 1100 km Entfernung – und beide waren natürlich sehr angetan, dass ich nun gerade wenige Monate zuvor in beiden Städten war.

Meine Tampon-Sammlung kann ich auf diesem Campground so auffüllen, dass ich morgen auf jeden Fall erst einmal weiter wandern werde. Mein Vertrauen ist gewachsen: ich finde schon das, was ich wirklich brauche.

Wieder gibt es zum Abendessen natürlich Nudeln mit Käse – macht satt, und man hat nicht unbedingt das Gefühl, noch mehr essen zu wollen, selbst wenn es mehr gäbe…. Um 20:30 gehe ich in meinen Schlafsack, es ist einfach zu kalt, um draußen zu sitzen und spaziert bin ich heute auch genug. Und es fällt mir auch nichts ein, was ich machen könnte – außer zu schlafen.

 

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